Was hast du in Indien gemacht?
Ich war in Kodaikanal, einem kleinen Ort im Gebirge im südlichsten Bundesstaat Tamil Nadu. Dort war ich als Freiwillige im Social Experience Department der Kodaikanal International School. Im SoEx-Department war ich mit zuständig für Büroarbeiten sowie die Organisation und Durchführung von verschiedensten Aktivitäten: einerseits im Bereich von Umweltschutz wie zum Beispiel Baumpflanzungen, Recycling- oder Wasserprojekte sowie Müll Clean Ups und andererseits im sozialen Bereich wie zum Beispiel Projekte in umliegenden Kinderheimen, Schulen, einem Altenheim und einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung.
Mit welcher Motivation bist du damals weltwärts gegangen?
Meine Hauptmotivation war es, nach der Schule das »Nest« zu verlassen, meinen Horizont zu erweitern und etwas zu erleben. Nicht zuletzt, da ich bezüglich meines weiteren Lebensweges beziehungsweise der Studienwahl unentschlossen war. Ich war motiviert, ein ganz anderes Land - weit weg von der Heimat - und einen anderen Lebensalltag kennenzulernen - Indien interessierte mich dabei kulturell ganz besonders. Wichtig für meine Motivation war zudem, mich in einem sozialen Projekt für Menschen in einer weniger privilegierten Situation zu engagieren.
Und was denkst du heute darüber?
Heute denke ich manchmal darüber nach, was es bedeutet beziehungsweise den Menschen in den Partnerprojekten bringt, wenn junge »unausgebildete« Menschen aus dem Ausland dort mitarbeiten. Ein Teil meiner Motivation damals war vielleicht naiv - mehr als dass ich mich für Menschen in weniger privilegierten Situationen engagiert habe, habe ich wohl von ihnen gelernt. Der Freiwilligendienst hat also vor allem mir selbst wertvolle Erfahrungen gebracht - für meine Entwicklung, meinen weiteren Lebensweg und auch die Erweiterung meines Horizonts. Insgesamt denke ich aber auch heute noch, dass Begegnungen stattfanden, die für den Moment für alle Seiten wertvoll waren: »Das Lächeln, das du aussendest, kehrt zu dir zurück.« (indische Weisheit)
Engagierst du dich nach deiner Rückkehr (weiter) im entwicklungspolitischen Bereich?
Eine Zeit lang habe ich mich als Rückkehrerin weiterhin in meiner Entsendeorganisation engagiert. Während eines Auslandssemesters in Südafrika war ich als Freiwillige zudem in einem Empowerment-Projekt in einer benachteiligten Community sowie in Schulprojekten tätig. Vor allem aber engagiere ich mich seit einigen Jahren in Bremen in verschiedensten Projekten im Bereich Migration und Integration. So habe ich zum Beispiel Freizeitaktivitäten in Zeltunterkünften von Geflüchteten mitgestaltet sowie Spieleabende in Unterkünften von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten durchgeführt. Zusätzlich bin ich in einer Malgruppe in einem Haus der Kunst und Integration aktiv und führe ein offenes Sprachcafé für Zugewanderte und Geflüchtete durch.
Auf welche Weise hat dich dein Freiwilligendienst geprägt?
Ich habe das Gefühl, dass ich durch den Freiwilligendienst wesentlich selbstbewusster und reifer geworden bin. Der Freiwilligendienst verhalf mir das erste Mal so richtig zu einem Perspektivwechsel beziehungsweise lebendigerem Bewusstsein über globale oder auch nationale Ungleichheiten und Machtverhältnisse. Durch die Erfahrung ist auch meine Empathiefähigkeit gestiegen und ich begann eigene Privilegien oder meinen Lebensstil zu reflektieren. Prägend waren für all dies vor allem direkte und persönliche Begegnungen oder Gespräche mit Menschen, die ich noch heute in meinem Herzen trage.
Welches Erlebnis wird dir nie aus dem Kopf gehen?
Nicht vergessen werde ich wohl den Tag, an dem ich mit einem Bus nach Rajasthan fuhr, ein Bundesstaat, der besonders hohe Temperaturen zu bieten hat - es waren circa 48 Grad Celsius. Dementsprechend war auch die Luft im nicht klimatisierten Bus, mit dem wir zu allem Überfluss auch noch eine Panne hatten und stundenlang im Nirgendwo warten mussten. Letztendlich dauerte die Busreise mehr als 24 Stunden und nie zuvor habe ich so viel geschwitzt. Erinnerungswürdig bei all dem aber war auch eine herrschende Geruhsamkeit und Gelassenheit aller, die ich unter solchen Umständen äußerst beeindruckend fand.
Was machst du heute?
Gerade bin ich dabei, meinen Master im Fach »Transkulturelle Studien« (Kulturwissenschaften beziehungsweise Ethnologie) an der Universität Bremen mit dem Masterarbeitsthema »Gelebte Integration ist mehr als Deutsch lernen - ethnographische Erkundungen zu Sprachcafés als Möglichkeitsraum« abzuschließen.
Und wenn du nicht weltwärts gegangen wärst – was würdest du wohl heute machen?
Ich denke auch ohne das weltwärts-Jahr wäre ich da gelandet, wo ich heute stehe (denn auch vor dem Freiwilligendienst gab es die Idee, mich auf das Fach Kulturwissenschaften zu bewerben). Der Freiwilligendienst war eine erste wichtige Station auf meinem Lebensweg nach der Schule, aber seitdem sind es viele weitere wichtige Stationen, die dazu führten, was ich heute mache.
Alle Fotos zu diesem Beitrag von Geesche Decker.